Juristischer Gedankensalat

Rund um das Studium der Rechtswissenschaften

Der subsumierte Jurist – Ein Interview mit Prof. Dr. Götz Schulze

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In der Reihe „Der subsumierte Jurist“ geht es zwar auch um Jura, aber andersrum.
Warum sind Juristen Juristen? Und wie sehen sie eigentlich das Studium? Und gibt es den goldenen Tipp um das Studium zu überleben?

Den Anfang macht Prof. Dr. Götz Schulze, er hat seit dem Wintersemester 2010 den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Potsdam inne.

Juristischer-Gedankensalat: War Jura ihre erste Wahl?

Prof. Dr. Schulze: „Ja, Jura war meine erste Wahl. Schon zum Ende der Schulzeit war mir klar, dass ich Jura studieren will. Ein Grund ist mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn; der Gedanke, es müsse gegen Ungerechtigkeiten ein Mittel geben.“

Juristischer-Gedankensalat: Sehen sie Gerechtigkeit heute anders?

Prof. Dr. Schulze: „Differenzierter. Sie erzeugt ein Potential zur Einschränkung von Egoismen und Macht.“

Juristischer-Gedankensalat: Haben sie mal an einen Fachwechsel gedacht?

Prof. Dr. Schulze: „Den Gedanken das Fach zu wechseln hatte ich nie. Parallel zum Jurastudium habe ich Philosophie noch über die Zwischenprüfung hinaus studiert. Das musste ich irgendwann aufgeben, weil beides nicht mehr ging.“

Juristischer-Gedankensalat: Sind sie dann eher juristischer Philosoph oder philosophischer Jurist?

Prof. Dr. Schulze: „Wenn, dann eher ein philosophischer Jurist. Eine sinnvolle Kombination, wie ich finde, beschäftigt sich die Philosophie doch mit Fragen der Moral und Ethik und liegt oft nah an juristischen Fragestellungen bzw. diesen voraus.“

Juristischer-Gedankensalat: Haben sie für ihre juristische Laufbahn etwas aufgegeben?

Prof. Dr. Schulze: „Nein, es gab sonst nur eine gewisse Leidenschaft für Tennis. Das habe ich auf einem ganz guten Niveau gespielt und es irgendwann aufgegeben. Wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen einer Profi Karriere im Tennis – so gut war ich leider nicht- und der juristischen Laufbahn, ich hätte als Schüler den Sport gewählt.“

Juristischer-Gedankensalat: Sind sie in das berühmte Schwarze Loch irgendwann nach den ersten drei Semestern gefallen?

Prof. Dr. Schulze: „Welches schwarze Loch? Nein. Aber nach dem Staatsexamen merkte ich, wie sehr die Vorbereitung auf diese Prüfung einen auch psychisch in Beschlag nimmt.
Ich errinere mich noch an den Tag nach dem Examen; da waren plötzlich die ganzen Lehrbücher unwichtig (Leerbücher sozusagen), die im Regal stehen, man geht raus in die Straßen und guckt in die Schaufenster und kann sich wieder auf deren Inhalt einlassen, ohne an einen Absatz 2 und in den Kategorien des Schönfeldes zu denken.“

Juristischer-Gedankensalat: Welche Lernmethode haben sie angewendet, um ihre Ziele zu erreichen?

Prof. Dr. Schulze: „Die Frage der Lerntechnik beschäftigte mich früh. Die Bücher des Strafrechtlers Fritjof Haft habe ich aufgesogen (Anm. der Redaktion: . Für das erste Examen habe ich mir dann daraus eine Strategie entwickelt: Alle Gebiete werden durch Fragestellungen aufgearbeitet. Der Vorteil liegt in der Aktivität. Sich Fragen überlegen zu müssen, deren Antwort das Gelesene abdeckt, zwingt zu einer ersten Reflexion. Der Lernprozess ist ein stetiger Wiederholungs- und Vertiefungsprozess. Im Laufe der Zeit verändern sich die Fragen. Sie werden tiefgehender. Detailwissen ist nicht das Ausschlaggebende, sondern das Verständnis für Sachverhalte und juristische Zusammenhänge. Das Verständnis ermöglicht dann auch das Erfassen komplexer Fragestellungen. Detailwissen kommt automatisch hinzu, aber es sollte nicht zum Selbstzweck werden. Es gibt im juristischen Bereich eine immens wachsende Menge an unnützem Wissen. Mir erscheint es manchmal wichtiger, dieses auszusortieren, als einfach weiter schwer verdauliche Informationen zu konsumieren. Neue Aspekte in meine Denklandschaft zu integrieren und ein manchmal quälendes Verbesserungsinteresse treiben mich an.“

Juristischer-Gedankensalat: An welchem Punkt haben sie sich entschieden, das zu werden, was sie heute sind?

Prof. Dr. Schulze: „Professor bin ich eigentlich aus einer Verkettung von Zufällen geworden. Mein ursprüngliches Berufsziel war es, Anwalt mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu werden. So war meine erste Berufsstation bei einer renommierten Anwaltskanzlei am Bundesgerichtshof. Die strenge Schreibdisziplin und die Ästhetik von Schriftsätzen haben mich nachhaltig beeindruckt. Mein damaliger Doktorvater bot mir nach der Promotion eine Stelle an der Uni an und eröffnete mir eine Perspektive zur Habilitation. Zuerst zögerte ich. Das Problem der wissenschaftlichen Berufe liegt ja in dem jahrelangen Überbrücken ohne gesicherte Existenz. Das wissenschaftliche Prekariat sozusagen. Doch die Entscheidung wurde mir leichtgemacht: Die Anwaltskanzlei bei der ich damals arbeitete bot mir eine freiberufliche Tätigkeit an. Und so bin ich Professor geworden.“

Juristischer-Gedankensalat: Warum haben sie sich für IPR entschieden?

Prof. Dr. Schulze: „Zum IPR bin ich durch Zufall gekommen. Meine erste Assistententätigkeit war an einem IPR-Lehrstuhl in Lausanne. Das IPR beruht auf einem eigenen Denkansatz und funktioniert anders als das klassische Zivilrecht. Das empfand ich als Herausforderung. Dazu kam der fortschreitende Internationalisierungsprozess und die Notwendigkeit, den juristischen Prozess in transnationale, europäische und internationale Dimensionen methodisch nachzuvollziehen. Die Anziehungskraft des IPR resultiert aus der Vielfalt des Verschiedenen. Gleichheit verwirklicht sich durch die Beachtung der Unterschiede. Das ist auch das Credo des IPR. Es hilft, den nationalen Blick zu dezentrieren und zwingt dazu, eine neue Provinz im eigenen juristischen Denken anzulegen.“

Juristischer-Gedankensalat: Halten sie die althergebrachte Juristenausbildung aus ihrer Lebenserfahrung heraus für die richtige?

Prof. Dr. Schulze: „Die äußere Hülle hat sich durch Bologna bereits verändert, der Inhalt ist aber noch derselbe. Bundesweit wird am alten System festgehalten, lediglich Mannheim bietet einen Bachelor/Master als Pilotprojekt an. Die anderen neuen Studiengänge, wie z.B. der des Wirtschaftsjuristen sind nicht unproblematisch. Man kann nicht wissen, wie werthaltig sie sind, und die Parameter, das herauszufinden, sind unsicher. Das Staatsexamen am Ende des juristischen Studiums bleibt ein Leuchtturm. Man muss gut überlegen, ob man seine Markenkraft aufgeben will. Das Staatsexamen verbürgt Qualität – auch und gerade im internationalen Vergleich. Bei einer Umstellung auf das Mastersystem im juristischen Bereich entsteht die Gefahr der Unvergleichbarkeit der Abschlüsse. Wenn es nur noch Master gibt, dann ist die Aussagekraft der Note aufgrund der heterogenen Studienstruktur nicht mehr gegeben. Wie in anderen Bereichen erzeugt man dann den Master of Desaster. Jeder hat irgendeinen Master und erzählt, dass er von der besten Uni kommt. Als Ausstehender können sie das kaum beurteilen. Universitätenrankings bilden das nicht ab. Man sollte das Staatsexamen daher jedenfalls nicht ohne Not aufgeben.

Juristischer-Gedankensalat: Gilt das auch für den Doktortitel?

Prof. Dr. Schulze: „Ja, vergleichbar auch für diesen. Ein Doktortitel ist ein Zeichen für Systemintelligenz, für selbstständige Arbeit und Fleiß. Selbstbewusstsein kann man sich dadurch gewissermaßen selbst erarbeiten. Die Arbeit verschafft einen persönlichen Freiheitsgewinn, weil man an ihrem Ende in der Wissenschaft einen Standpunkt selbstständig vertritt. Der Doktortitel sollte geschützt und bewahrt werden, auch weil er ein vertrauensbildender Faktor ist.“

Juristischer-Gedankensalat: Sind sie der Ansicht das Ansehen eines Doktortitels wurde durch die Guttenberg-Affäre geschmälert?

Prof. Dr. Schulze: „Einerseits hat sie das Vertrauen in den Doktortitel, seine Zeichenfunktion, geschmälert, andererseits wurde aber auch auf einen Missstand im System aufmerksam gemacht: Die Sache ist keine Bagatelle. Auch aus der internen wissenschaftlichen Sicht bedeutet solche Scharlatanerie kein Kavaliersdelikt. Ja, das bewusste Plagiieren ist unerhörtes Unrecht, ein bequemes Vortäuschen von eigenen wissenschaftlichen Ergebnissen. Zugleich haben diese Affairen aber auch ihr Gutes. Die Diskussion schärft das Bewusstsein für den Zweck von Zitierregeln. Diese werden wir verstärkt in die Ausbildung integrieren müssen. Das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten, das Stehen auf den Schultern von Riesen, wie es im Sprichwort bildlich heißt, darf jedenfalls nicht aufgegeben werden. Ein Mensch mag sich täglich neu erfinden, die Wissenschaft darf das nicht.“

Juristischer-Gedankensalat: Gibt es eine juristische Frage, die ihnen noch nie gestellt wurde, die sie aber gerne beantworten würden?

Prof. Dr. Schulze: „So eine Frage kenne ich nicht, was nicht heißt, dass ich alle Fragen, die ich kenne, schon beantwortet habe. Spannend finde ich aber Paradoxien, wie das Zwölfte Kamel als Sinnbild für die Funktion des Rechts oder das Brett des Karneades als Bild für eine Konfliktlage, die man rechtlich und moralisch nicht auflösen kann. Auch der Abschuss von Passagierflugzeugen zum Schutze anderer oder die Androhung von „Rettungsfolter“ aus dem Frankfurter Entführungsfall des Bankierssohn Jakob von Metzler sind solche Fragestellungen. Der häufig nach dessen Mörder benannte Gäfgen-Fall hat mich beschäftigt. Eine Entscheidung zwischen Recht und Unrecht zu treffen ist hier ungemein schwierig. Einerseits ist klar, dass man Folter nicht erlauben darf, schon weil sie nicht kontrolliert werden kann. Folter bedeutet letztlich eine willkürliche Enthemmung, die außerhalb des Rechtlichen liegt. Andererseits ist die Konfliktlage, in der sich der anordnende Polizeibeamte Daschner befand, so groß, dass selbst in der Nachbetrachtung eine persönliche Schuld nicht vorliegt. Deswegen muss man dem Beamten nicht unbedingt Recht geben. Rechtswidrig, aber straflos, wie der verspätete, aber indizierte Schwangerschaftsabbruch, könnte man diese Folter qualifizieren oder man hält sie auf der Handlungsebene für rechtmäßig, aber wegen ihrer Folgen dennoch für verboten. Einen übergesetzlichen Notstand anzunehmen, überzeugt mich nicht. Damit weicht man dem Urteil über rechtmäßig und rechtswidrig ohne Differenzierungsgewinn aus. “

Juristischer-Gedankensalat: Haben oder hatten sie Vorbilder?

Prof. Dr. Schulze: „Ja, ich hatte und habe immer wieder Vorbilder.
Es sind keine abstrakten Vorbilder, deren Eigenschaften man nacheifert, um so zu werden wie sie. Es handelt sich stets um nahe Vorbilder in bestimmten Bereichen und zu bestimmten Zeiten. Das ist mein Vater immer gewesen, mein Politiklehrer im Gymnasium und mein Zugführer bei der Bundeswehr in gewisser Hinsicht. Mein akademischer Lehrer aus Heidelberg war mein wichtigstes Vorbild in den letzten Jahren.“

Juristischer-Gedankensalat: Es heißt Juristen und Mediziner wären die bestangezogenste Berufssparte. Würden sie dem zustimmen?

Prof. Dr. Schulze: „Tendenziell mag das auf Juristen zutreffen, weil sie Berufskleiderträger sind und dann manchmal auch gut sitzende Anzüge tragen. Aber deshalb von den Bestangezogensten zu sprechen? Oft sind Juristen, mich eingeschlossen, in Kleiderfragen eine Spur zu bieder. Aber immerhin gepflegt sind viele. Eine gepflegte Erscheinung ist doch wichtig und die findet man häufiger bei Medizinern, aber natürlich auch bei Juristen. Ich persönlich habe leider keine Freude beim Einkaufen von Kleidern. Stundenlange Shoppingtouren sind nichts für mich.“

Juristischer-Gedankensalat: Wenn sie für 24 Stunden jemand anderer sein könnten, wer wären sie und warum?

Prof. Dr. Schulze: „Ich will niemand anderer sein. Aber wenn sie schon so fragen, Regierender Bürgermeister von Berlin wäre einmal spannend.“

Juristischer-Gedankensalat: Gibt es einen goldenen Tipp, den sie jedem Jurastudenten geben würden?

Prof. Dr. Schulze: „Lerne auf dein eigenes Urteil zu vertrauen.
Das Ziel des Jurastudiums ist es, am Ende soweit zu sein, dass man eine x-beliebige Rechtsfrage selbständig beantworten und kritisch hinterfragen kann. Dazu gehört es auch, zu wissen wie gut man die Frage beantwortet hat. Ein Selbstvertrauen in die eigene juristische Urteilskraft zu entwickeln, nach einer Analyse eine Meinung zu haben und diese auch zu vertreten, sind keine uneinlösbaren Wunschvorstellungen, sondern das Ergebnis immer neuen Bemühens um eine sachgerechte Antwort.“

Danke an Herrn Prof. Dr. Schulze für dieses Interview!


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