Juristischer Gedankensalat

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Loveparade 2010 – Das Ende einer Friedensdemo

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Die Ereignisse auf der Loveparade 2010 in Diusburg haben gestern ab dem späten Nachmittag alle Medien bestimmt. Ob X, Facebook, Radio oder TV, die Meldungen rissen nicht ab. Mit großer Bestürzung und Fassungslosigkeit habe ich die Meldungen verfolgt. Mein Mitgefühl gilt den 19 Verstorbenen Personen, Ihren Angehörigen und den über 340 Verletzen Menschen.

Bei allen Meldungen wirft sich jedoch nur eine Frage auf: Wie konnte das passieren?

Immer mehr Details finden sich im Netz (eine kleine Auswahl: Artikel auf Zeit Online, WDR Mediathek oder die vielen Youtube, Videos, Fotos). Ich habe soeben die Pressekonferenz auf dem WDR verfolgt. Zunächst sei gesagt: Ich kann dem Moderator nur zustimmen:

Eine von Hilflosigkeit der Beteiligten geprägte, so noch nie erlebte Pressekonferenz

Denn das war sie. Vier Menschen die im Vorfeld die Veranwortlichen waren, jetzt jedoch jegliche Verantwortung von sich schieben. Rumgedruckse bei Fragen auf die es nur konkrete Antworten geben kann. Hilfloses Rüberschauen zu den anderen wenn eine Frage gestellt wurde. Ein Journalist stellte konkrete Fragen zum Sicherheitskonzept und den vielen Warnungen im Vorfeld, seine Aussage: „Das hätte man voraussehen müssen!“ ist sicherlich aufgrund der vielen Informationen die treffenste.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Der Fehler liegt hier wohl nicht nur an einer Stelle. Er ist an vielen Stellen gemacht worden. Innerhalb der Pressekonferenz wurde die Info rausgegeben, die Staatsanwaltschaft ermittle nun „von Amts wegen“. Es muss also nicht zwingend eine Anzeige gegen einen (oder mehrere) der Verwantwortlichen vorliegen. Vielmehr indiziert diese Aussage, die Staatsanwaltschaft hat bereits gestern Abend die Ermittlungen ohne Antrag begonnen. Es kursieren im Netz verschiedene Aussagen nachdem der Polizeipräsident Bochums und ein Feuerwehrmann Anzeige erstattet haben sollen, bestätigt sind diese nicht.

Größe des Geländes und Anzahl der Besucher

Innerhalb der Pressekonferenz wurde der Bereich auf dem die Loveparade stattfand mit einer Gesamtgröße von ca. 240.000 qm angegeben. Laut Webseite der Stadt Duisburg ist das Areal ca. 3 Hektar groß. ( Quelle: Duisburg.de
Geht man nach dem gängigen Maurer-Schema zur Risikobewertung bei Großveranstaltungen, rechnet man mit 4 Personen pro Quadratmeter als zulässige Größenordnung. Wobei auch von 2 Personen pro Quadratmeter in den Medien die Rede ist. Jedoch müsste von der lt. Pressekonferenz betretbaren Fläche noch der Platz für die Bühnen und den Raum für die Wagen abgezogen werden. Wieviele Menschen genau nun Platz gehabt hätten bleibt daher (noch) offen. Auf Ruhrbarone.de hatte Stefan Schroeder schon am Freitag genau diese Frage gestellt:

Am Freitag habe ich gefragt, wie viele Menschen auf den Platz passen. Der Sprecher der Stadt wollte es nicht sagen. Er meinte, das sei geheim. Er wolle und dürfe das nicht sagen. Ich habe in der Verordnung nachgesehen, die regelt, wie viele Menschen bei öffentlichen Veranstaltungen auf Plätzen zugelassen sind. Daraus ergab sich, dass auf den Platz maximal 500.000 Menschen durften. Zwei Menschen je Quadratmeter. Heute heißt es, 800.000 seien drauf gewesen. Fast doppelt so viele wie erlaubt.

Fakt ist: Auf der Pressekonferenz sagte der stellvertretende Polizeichef er könne nur die Zahlen der Deutschen Bahn weitergeben: Demnach sollen 105.000 Menschen von der DB zum Duisburger Hauptbahnhof gebracht worden sein. Schaut man sich die Luftaufnahmen an, sieht man jedoch deutlich mehr als 105.000 Menschen. In den Medien kursieren Zahlen von 1,4 Mio bis hin zu 900.000 Menschen die sich auf dem Areal befunden haben sollen.

Auch war das Gelände (im Gegensatz zu den Loveparades in Berlin) umzäunt. Begründet wurde diese Begrenzung mit dem Stichwort der Gefahrenabwehr. Die Zäune sollten der Sicherung der Besucher dienen, denn sowohl die A59 als auch die Schienen der DB grenzen an das Gelände.
Stellt sich doch die Frage warum ausgerechnet das Gelände mit zwei Gefahrenpolen dann ausgewählt wurde.

Zu- und Abgang zum Gelände nur durch einen Tunnel?

Noch unverständlicher ist jedoch die Regelung des Zu- und Abgangs auf dem Gelände. So stand hierfür lediglich ein Tunnel mit ca. 120 m Länge und einer Breite von 16-20 m (genaue Angaben wurden in der Pressekonferenz nicht gemacht) zur Verfügung. Mal ist die Rede von zwei Zu- und Abgängen, mal nur von einem. Fakt ist aber: Es gab im Vorfeld Warnungen bezüglich des Tunnelzugangs. Nur möchte heute keiner der Anwesenden auf der Pressekonferenz davon etwas gehört haben.

Sicherheitskonzept fehlerhaft?

Auf tagesschau.de werden Zweifel am Sicherheitskonzept laut. Aber irgendjemand muss das doch genehmigt haben? Da sollen doch laut Pressekonferenz Experten, Sicherheitsleute und Ordnungsamt mitgewirkt haben?! Wer genehmigt denn sowas?!
Michael Schreckenberg, „Panik-Forscher“ sieht keinerlei Bedenken. Im Gegenteil, er sagt:

Der Tunnel, in dem es zur Massenpanik gekommen war, sei groß genug ausgelegt gewesen.


Nunja, ich persönlich sehe einen Tunnel von ca. 16-20m Breite und 120 m Länge (mit Unterbrechungen) als einzigen Zu- und Abgang für eine erwartete Besucherzahl von 1,4 Mio. eben nicht für „groß genug“ an.

Hotline für Betroffene hoffnungslos überlastet

Etwas befremdlich fand ich auch die Reaktion „danach“. Die eingerichtete Hotline konnte von über 500.000 Anrufen lediglich 5400 annehmen. Zudem wurde sie heute morgen gegen fünf Uhr abgeschaltet. Ob sie wieder aktiv ist, ist mir nicht bekannt. Für Menschen die noch jemanden vermissen der auf der Loveparade war, sei zunächst auf Sonderlage.de hingewiesen.

Das Ende der Loveparade

Alles in allem ist das Unglück der letzten Loveparade wohl die Ausgeburt einer Proftgier. Laut dem Veranstalter Rainer Schaller wird es keine weitere Loveparade geben. (Quelle: Weltonline
Es kann auch keine weitere geben, 19 Menschen sind tod. Über 340 verletzt und niemand der Anwesenden wird diese Loveparade vergessen können.

Zurück zum juristischen Teil dieses Post´s:

Da die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seit gestern Abend laufen ist das heutige Verhalten der Verwantwortlichen auf der Pressekonferenz teilweise nachvollziehbar. Die Akten wurden (soweit die Aussage vom Oberbürgermeister der Stadt Diusburg, dem stellvertretenden Polizeipräsidenten, dem Veranstalter und dem Krisenstabsleiter) an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Nicht nachvollziehbar hingegen sind die schwammigen Äußerungen zum Fassungsvermögen des Geländes, zur genauen Größe des Tunnels und zum Verhalten der Polizei.
Es steht außer Frage dass die Sicherheitskräfte, Sanitäter und zahllosen Helfer vor Ort ihr Möglichstes getan haben, aber es muss die Frage gestellt werden ob und warum die Polizei den Tunnel abgeriegelt hat. Auch muss gefragt werden warum Augenzeugen von der Ignoranz der Polizei berichten, von Äußerungen wie „Willst du das hier Organiseren?“ oder „Lass mich einfach meinen Job machen“.

Das Verfahren zur Frage der Schuld an diesem Unglück werde ich persönlich weiter verfolgen. Ich hoffe für alle die Verluste erleiden mussten, die Verletzt wurden, dass es so schnell wie möglich Antworten auf die vielen Fragen gibt.

Update: Siehe dazu auch den Artikel auf Viajura


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