Vor langer Zeit waren Rechtsanwälte noch eine angesehene Berufsgruppe, heute jedoch zeigt sich nicht nur nach außen ein anderes Bild der Anwaltschaft. Die Schere zwischen den Spitzenverdienern der Branche und den „Muss-Anwälten“ könnte größer nicht sein. Während einige wenige bei Jahreseinkommen von bis zu 1,8 Mio € bei Großkanzleien ein entspanntes Leben führen können, dümpeln viele andere bei Einkommen unterhalb des Existenzminimums herum.
Wer heute glaubt bei einem Volljuristen einen gut ausgebildeten Akademiker vor sich zu haben, wird häufig eines besseren belehrt. Aufgrund der Schwemme der Anwälte in den letzten Jahrzehnten finden sich gerade bei Berufsanfänger viele der sog. Muss-Anwälte. Der Jurist und Journalist Joachim Wagner hat in seinem Buch „Vorsicht Rechtsanwalt – Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral“ kein Blatt vor den Mund genommen. Ein Buch das lesenswert ist, für den Praktiker ebenso wie für den Studenten. 301 Seiten stark ist das Werk, was ein nicht gern diskutiertes Thema schonungslos anspricht: Die offensichtliche Fehlentwicklung innerhalb der Anwaltschaft.
Sein Buch ist zu verstehen als Plädoyer für ein neues, an berufsethischen Richtlinien ausgerichtetes Berufsbild. Ein Berufsbild was in den letzten Jahrzehnten sehr zu leiden hatte. Der Zustrom schwacher Juristen, also derer die aufgrund der schlechten Examensergebnisse zwar noch bestanden haben, aber mit der Note weit außerhalb des ersehnten (und erwünschten) Prädikats, keine Anstellung finden und daher als Anwalt selbstständig tätig werden, erhöhte das Risiko für den Mandanten qualitativ schlecht beraten zu werden. Zwar wird diese Entwicklung innerhalb der Anwaltschaft mit der sog. Schwarze-Schafe-Theorie („Das sind alles Einzelfälle“) oder der Keine-Belege-Theorie (Darüber gibt es keine verlässlichen Daten) abgewiegelt, jedoch gibt es diesen Missstand tatsächlich. Dazu stellte z.B. Michaela Purrucker (Oberster Kammervertreter (Rechtsanwaltskammer) in Schleswig-Holstein) fest, dass die Arbeit der Anwälte die um ihre tägliche Existenz kämpfen eine teilweise beschämende Qualität habe.
Zum einen ist dieses auf den Wandel vom Selbstverständnis als Organ der Rechtspflege zum einseitigen Interessenvertreter geschuldet und zum anderen zwingt der inzwischen überschwemmte Markt die Anwälte dazu eine Kommerzialisierung der Rechtsberatung aufgrund des harten Konkurrenzkampfes zuzulassen. Dieser Konkurrenzkampf führt zwangsläufig zu einem Verfall der Ethik innerhalb der Anwaltschaft, hin zu Rechtsmissbrauch und schrumpfenden Berufsethos insbesondere bei Strafverteidigern. Und dann sind da noch die Abmahnanwälte, deren Methoden mitunter mehr als fragwürdig sind. Diese Fehlentwicklung führt der Autor zurück auf den Anspruch den eigenen Lebensstandard zu sichern, aber auch auf schlichte Geldnot oder schlimmer noch: Gier.
Der Autor betont herbei, dass das Buch versucht einen Blick nach außen, frei von Abhängigkeiten, Interessen und Ängsten, zu werfen. Es hat den Anspruch die Berufswirklichkeit zu erkunden und stützt sich dabei auf Erfahrungen und Eindrücke aus dem Berufsstand. Joachim Wagner erhebt auch keinen wissenschaftlichen Anspruch, wohl aber einen Anspruch auf eine Diskussion für eine neue Berufsethik der sich alle verpflichten.
Im Namen der Rezensorin ergeht folgendes Urteil:
Joachim Wagner wählt klare Worte zur Desillusionierung und hat damit ein Buch gefüllt was innerhalb der Leserschaft umstritten ist. Die Reaktionen könnten weiter nicht auseinander gehen. Was aber bleibt ist der fade Beigeschmack der Feststellungen die der Autor getroffen hat. Der Berufsstand des ehemals angesehene Rechtsanwalts findet sich im Berufsalltag nicht nur dem Konkurrenzkampf ausgesetzt, sondern auch der Problematik des Überlebens. Nicht zuletzt ist die Schwemme an Junganwälten auch den gelockerten NC´s der Universitäten geschuldet. Die Universitäten, die nicht müde werden den Studenten immer wieder zu erzählen sie hätten im Prinzip überall auf dem Arbeitsmarkt eine Chance und noch bessere Chancen mit Prädikat, Doktor und LLM. Der Berufsalltag einiger Junganwälte wird von Joachim Wagner dargestellt: Volljuristen die um das Überleben kämpfen und sich als Leihanwalt, Terminsvertretung oder an Hotlines von Versicherungen einen Hungerlohn verdienen. Das hat der Berufsstand nicht verdient, Einhalt gebieten kann man diesem Umstand aber wohl nicht.
Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen und möchte es jedem Studierenden ans Herz legen. Warum?
Weil Joachim Wagner klare Worte findet für das was uns da draußen erwartet. Weil er nicht die Rosa-Rote-Prädikatsbrille aufhat. Weil es uns aufzeigt, dass es besser ist in der heutigen Berufswelt entweder ein verdammt guter Praktiker zu sein oder aber mehr als Jura zu können. Das Buch sorgt für Ernüchterung: Überleben als Anwalt ist nicht einfach, ganz im Gegenteil. Es ist machbar, aber die Konsequenzen sind schlechte Beratung für Mandaten, Rechtsmissbrauch durch Abmahner und ständiger Konkurrenzkampf unter Anwälten.
Das Buch ist im Beck Verlag erschienen und kostet 24,90 €. Eine Investition in die Zukunft, für alle die es aufmerksam und offen lesen. Denn es kann zu einem Umdenken führen und zum Hinterfragen der eigenen Einstellung zum angestrebten Beruf. Daher meine ausdrückliche Leseempfehlung!
Erhältlich beim Buch-Dealer eures Vertrauens:
Vorsicht Rechtsanwalt: Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral
Joachim Wagner
Verlag Beck
ISBN 978-3406666834
24,90 €
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